Hardcover mit SU, 215 Seiten, Durach 1989, sehr gut
Unter rein technischen Aspekten war die Schäfer-Expedition nichts Außergewöhnliches, nichts Spektakuläres, nicht zu vergleichen mit den Abenteuern, die z.B. Sven Hedin und Wilhelm Filchner zu bestehen hatten. Es wurden kaum unbekannte Gebiete erforscht oder neue Routen erkundet. Die Expeditionsteilnehmer waren auch nicht Angriffen von irgendwelchen räuberischen Stämmen ausgesetzt, und niemand kam ums Leben. Selbst die früheren Expeditionen von Ernst Schäfer in Osttibet waren wesentlich aufregender verlaufen.
Nein, was im Nachhinein Anlass zu wilden Spekulationen über diese Expedition gab, ist der Zeitpunkt ihrer Durchführung, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und die – unter heutigem Gesichtspunkt – politische Brisanz, dass sämtliche Expeditionsteilnehmer Angehörige der SS waren. Dabei war das, was das Unternehmen eigentlich zu etwas Besonderem machte, etwas ganz anderes: Als erste wissenschaftliche deutsche Tibet-Expedition überhaupt wurde diese von der tibetischen Regierung offiziell nach Lhasa eingeladen. Eine kleine Sensation angesichts der strikt ablehnenden Politik der tibetischen Regierung gegenüber einreisewilligen Ausländern in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Da Schäfers eigene Expeditionsberichte nie ins Englische oder Französische übersetzt worden sind, wurde die öffentliche Meinung über Tibet in der internationalen Welt fast ausschließlich durch den damaligen britischen Repräsentanten in Lhasa, Hugh Richardson, und die verfügbaren Quellen im India Office in London geprägt. Kein Wunder, dass die Einschätzung aufgrund der Animositäten, die schon vor dem Krieg zwischen Deutschland und England bestanden, ausgesprochen negativ ausfiel, und dass sich diese Beurteilung, bedingt durch die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, weiter durchsetzen konnte. Diese einseitige Information mag zum zweifelhaften Ruf beigetragen haben, welcher der Expedition bis heute anhaftet.
Erschwerend kam hinzu, dass die einschlägigen Archivmaterialien Jahrzehnte lang nicht zugänglich waren. Die konkreten und wichtigen naturwissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition finden nach wie vor kaum Beachtung; weitgehend unbeachtet schlummert das umfangreiche Material immer noch in den Magazinen und Archiven.
Auch in Deutschland war diese Expedition, deren Mitglieder es sich zur Aufgabe gemacht hatten, in einer Vielzahl zumeist naturwissenschaftlicher Disziplinen wie Geologie, Biologie und Medizin neue Forschungsergebnisse zusammenzutragen, lange Zeit fast in Vergessenheit geraten.