Hardcover, 2 Bände, 474/472 Seiten, Andiast 2019, neu
Die tibetische Literatur hat im 19. und 20. Jahrhundert mehrere, zumeist kurze Werke hervorgebracht, die der Literaturgattung der geographischen Beschreibung der Welt und der Pilgerreiseführer zuzuordnen sind. Um die bislang nur peripher erforschte historische Geographie und Baudenkmalgeschichte Zentraltibets anhand einer authentischen Quelle zu dokumentieren, wird mit dem vorliegenden Projekt eine Edition und kommentierte Übersetzung des umfangreichsten Werkes dieser Art, des Pilgerreiseberichtes des Kah thog Si tu Chos kyi rgya mtsho (1880-1925), vorgelegt. Es handelt sich um den Si tu pa chos kyi rgya mtsho gangs ljongs dbus gtsang gnas bskor lam yig Nor bu zla shel gyi se mo do , den "vom Si tu pa Chos kyi rgya mtsho [verfassten] Pilgerführer für das zum Schneeland [gehörende] Zentraltibet (namens) 'Lange Halskette juwelen(gleicher) Mondkristalle'", mit einem Umfang von 270 tibetischen Folio. Aus dem osttibetischen Raum kommend, unternahm dieser Lama der rNying ma pa- Schule in den Jahren 1918-1920 eine etwa 4000 km weite Reise, die ihn zu allen bedeutenden Heiligtümern und Klöstern der tibetischen Kulturlandschaft führte. Mit seinen detaillierten Notizen hat er ein bedeutendes, bislang nicht bearbeitetes Zeitdokument der tibetischen Literatur hinterlassen, das mit einer relativ detaillierten Beschreibung von mehr als 300 Klöstern und der Verzeichnung von etwa 1000 weiteren Klöstern im Umfeld des Pilgerweges einen einzigartigen Überblick über die Klosterlandschaft Zentral- und Osttibets bietet. Aufgrund seiner detaillierten Wegbeschreibungen bildet das Werk eine der bedeutendsten Quellen für die Erforschung der historischen Geographie Tibets, aufgrund der umfassenden Beschreibung der Klöster eine einzigartige Quelle für die tibetische Architektur- und Kunstgeschichte. Darüber hinaus enthält es eine Fülle an lokal- undsozialgeschichtlich interessanten Informationen, Angaben zum Landschaftscharakter, zur Flora und Fauna, zu den philosophischen und rituellen Traditionen der einzelnen Klöster oder auch zu den Festen und Klosterregeln. Nicht zuletzt vermittelt es einen umfassenden Eindruck von der tiefen Religiösität der Tibeter, indem es das breite Spektrum an Objekten der religiösen Verehrung, die in den Klöstern aufbewahrt wurden, in detaillierten Beschreibungen vor Augen führt. Neben den Statuen, Thangkas, Wandgemälden, Stïpas und Reliquien, die vor allem der religiösen Verehrung dienen, widmet sich die Beschreibung speziell auch den sogenannten "Inneren Objekten" (T nang rten), die gewöhnlich nur hochrangige religiöse Persönlichkeiten zu Gesicht bekamen und den,einfachen Gläubigen höchstens bei besonderen religiösen Festlichkeiten gezeigt wurden.
Auch der Beschreibung der Terma (T gter ma), den "unter magischen Umständen geborgenen Objekten der Schatzfinder" (T gter ston), denen die Tibeter eine ganz besondere Segenskraft beimessen, wendet sich der Autor als hochrangiger Vertreter der rNying ma-Schule stets mit besonderem Interesse zu. Kah thog Si tu's Pilgerreisebericht,der nur gut 30 Jahre vor der chinesischen Invasion verfasst wurde, bildet damit ein in seiner Ausführlichkeit wie auch Vielfältigkeit einzigartiges Dokument für den Status quo der tibetischen Kulturdenkmäler und ihrer Kunstwerke vor dem Jahre 1949. Um das Werk auch einem breiteren Kreis von Wissenschaftlern, die sich heute mit der tibetischen Kultur beschäftigen, zugänglich zu machen, wird mit der vorliegenden Publikation zum einen eine Edition des Originaltextes veröffentlicht, der ursprünglich als Blockdruck des Klosters Kah thog rDo rje gdan herausgegeben wurde und inzwischen in mehreren Editionen vorliegt. Zum andern wird eine Übersetzung des Gesamtwerkes in der Hoffnung vorgelegt, damit die tibetologische Forschung in verschiedenen Feldern zu bereichern.