Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass: ausgewählte Schriften und Gedichte von Liu Xiaobo

Softcover, 398 Seiten, Frankfurt 2013, neu

Liu Xiaobos Texte sind ein rastloser Protest gegen Willkür, Hass und moralische Blindheit - eine Blindheit, die nicht nur China, sondern auch den Westen zu befallen droht. Wer die ausgewählten Schriften mit dem Titel „Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass“ liest, muss sich mit einer Erkenntnis konfrontieren, die zeigt, wie einfach wir Europäer es uns machen, wenn wir Chinas wirtschaftliche Leistung bewundern, während wir den moralischen Verfall verschweigen. Liu Xiaobo hingegen hat, indem er den Mund aufmachte, Mut bewiesen - in einem Staat, in dem schon beim Aussprechen von Wahrheiten keine Karrieren und Jobs, Annehmlichkeiten und Posten auf dem Spiel stehen, sondern das eigene Leben. Den Gefahren zum Trotz, und das ist das Verblüffende an dieser Existenz, hat Xiaobo seine Ideale nie in Frage gestellt: „Für mich gibt es keinen Weg zurück mehr, entweder ich überquere den Abgrund, oder ich gehe in ihm zugrunde. Wer frei sein will, muss durch diesen Engpass hindurch.“

Der von Karin Betz und Hans Peter Hoffmann übersetzte Band mit Essays, Artikeln und Gedichten aus zwanzig Jahren publizistischem Wirken zeigt in kompromissloser Schärfe, mit welcher Penetranz und Standhaftigkeit Liu Xiaobo die chinesische Diktatur kritisierte. Kaum ein Thema bleibt unberührt: Zwangsenteignungen, das Mundtotmachen ungeliebter Stimmen, die Doppelmoral der „Weißkragen“, der Zynismus der Eliten - durch Liu Xiaobo bekommt man Einblick in ein China, das mit der einen Hand die Münzen zählt, während es mit der anderen zu Peitschenhieben ausholt. Erstaunlich, dass Xiaobo in seinen Forderungen nach mehr Demokratie und Menschenrechten niemals in eine gewaltvolle Sprache abdriftet, sondern als besonnener, den Kompromiss suchender Vermittler auftritt, der an die reformatorischen Bemühungen der vergangenen dreißig Jahre anzuknüpfen versucht. Dass er für die Charta 08, die ebenfalls abgedruckt ist, mit einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, entbehrt jeder rationalen Grundlage, selbst wenn man systemkonform denkt. Einen Mann zu drangsalieren, der den Weg des Dialogs beschreitet, der trotz zahlreicher Haftstrafen immer an die Möglichkeit einer Reform des chinesischen Staates glaubt, das kann nur ein Beweis für Chinas stille Selbstverachtung sein.

Mängelexemplar: sehr gut, ungelesen

Autor: Liu Xiaobo, Tienchi Martin, Liu Xia
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