Die Tibeter: Ein Kampf ums Überleben, von Steve Lehman

Hardcover mit SU, 199 Seiten, farbige Abbildungen, Kempen 1999, wie neu

Es war wohl schicksalhaft, daß sich Steve Lehmann, ein Fotojournalist auf der Suche nach den schönsten und unberührtesten spirituellen Orten der Welt, im September 1987 in Lhasa aufhielt. Am 27.09.1987 war er gerade beim Einkaufen von Vorräten für die geplante Expedition als es in der Nähe des Jokhang-Tempels zu einer Unruhe kam, die Steve zunächst für eine Feier hielt. Rasch aber war klar, daß er Augen- und Fotozeuge der ersten Demonstration wurde, die seit dem großen, blutig niedergeschlagenen Volksaufstand im März 1959 in Tibet stattfand. Sie war von Mönchen des Drepung Klosters sorgfältig geplant und zu einem wohlüberlegten Zeitpunkt in Szene gesetzt worden: Vor wenigen Tagen erst hatte der Dalai Lama seinen Friedensplan vor dem Amerikanischen Kongress erläutert und die Demonstration sollte ein Signal der Zustimmung der Tibeter an die Weltöffentlichkeit sein. Dank Steve Lehmann und seiner eindrucksvollen Bilder wurde es tatsächlich ein solches Signal und es löste ein Welle internationaler Aufmerksamkeit für Tibet aus, die bis heute nicht nachgelassen hat. Für Steve Lehmann aber war es ein Erlebnis, das seine Suche nach einem Shangri La als einen naiven romantischen Mythos offenbarte, das ihm die Augen öffnete für den Kampf eines Volkes um den Erhalt seiner Identität, um das Überleben angesichts der politischen Unterdrückung und der fortschreitenden Assimilierung. Auf weiteren Reisen Steve Lehmanns in den folgenden zehn Jahren galt sein Interesse dann weniger den himmelhohen Bergen, den eindrucksvollen Landschaften, weniger den religiösen Traditionen und deren Spuren in tibetischer Kunst und Kultur, sondern den gewöhnlichen Tibetern, deren alltäglichem Leben in den sich rasch wandelnden Städten und in den Dörfern. Steve Lehman ent­deckte das Tibet der Holzlager und Zementfabriken, der Bordelle und Discos, der Müllhalden und der chinesischen Plattenbauten, wir sehen Bagger auf der Insel Jamalinka und Prostituierte auf dem Pilgerweg Lingkor. Aber bei all den erschreckenden Bildern eines neuen Tibet finden wir auch Bilder von lebendiger Tradition, Studenten beim Studium buddhistischer Logik und Philosophie, Tibeter beim Feiern ihrer Feste, Bauern bei der Gerstenernte, Nomaden beim Melken der Yak-Kühe, reiches tibetisches Leben. Und so zeigt das Buch, daß Chinas militärischer, politischer und kultureller Sieg über Tibet keineswegs gesichert und endgültig ist denn eine der Botschaften der Bilder von Steve Lehmann ist die Kraft der Tibeter, ihre Tradition zu wahren und dem Fremden zu widerstehen. Den Bildern, dokumentarischer Bildberichterstattung der besten Art, gleichwertig ist ein Aufsatz des Londoner Journalisten Robbie Barnett über den politischen und historischen Hintergrund des heutigen Tibet. Die stets gestellte Frage über den Anspruch Chinas auf Tibet löst er pragmatisch indem er die Fakten aufzählt, die Tibet als eine selbständige Einheit definieren. Sprache, Kleidung, Ernährung und Besteuerung, die gesamte Verwaltung bis zum Post- und Münzwesen war ausgesprochen tibetisch geprägt. Tibet hatte alle politischen und sozialen Einrichtungen, vom Militär bis zum öffentlichen Dienst, die ein Land benötigt um als selbständige Einheit zu funktioniern. Nach Barnett sind es nicht die rechtlichen Überlegungen sondern solche einfachen und echt gelebten Realitäten, die politische Aussagekraft haben. Auch Barnetts Aufsatz endet mit einem positiven Blick in die Zukunft, einer positiven Wertung der Ereignisse, die im September 1987 begannen. In der Reaktion der Machthaber auf die Demonstrationen zeigte sich die Angst des chinesischen Leviathan vor den Nadelstichen einer tibetischen Abweichung. Diese Angst, die sich in der Entscheidung offenbarte, auf die Demonstranten in Lhasa das Feuer zu eröffnen, enthüllte, daß der Drache verletzbarer ist, als sein feuriger Atem seine Untertanen glaub­haft machen will. In dieser Erkenntnis ruht das Potential für eine stärkere Durchsetzung der Anliegen der Tibeter. Und wie die sowjetische Erfahrung zeigt werden politische Veränderungen nicht von logischen Geschehensabläufen diktiert.

Autor: Steve Lehman; Robert Coles; Robbie Barnett
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